Rolle rückwärts für die Mütter

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17. Sep 2020

Kind mit Behinderung, Beruf und Corona – Zwei Mütter erzählen von einem Alltag, der kaum zu schaffen ist. Sie alle fürchten einen zweiten Shutdown.

Mütter von Kindern mit Behinderung trifft die Corona-Krise besonders hart.
Mütter von Kindern mit Behinderung trifft die Corona-Krise besonders hart.

„Ich will meinen Traumberuf doch jetzt nicht aufgeben, nur weil ich Kinder hab!“ Renate Prinz ärgert sich. Seit 20 Jahren hat sie einen Blumenladen in Hochdorf. Und seit 12 Jahren einen Sohn, Paul David, er ist schwer mehrfachbehindert. Blumen, Buchhaltung, Pflege und Familie: Alles hat sie immer unter einen Hut gekriegt, Wege gefunden, umgedacht, jede freie Minute genutzt. Mit all ihrer Kraft, so wie Frauen das überall auf der Welt schon immer machen. Und dann kam Corona - Die erste Welle hat sie noch mit Schwung genommen: Einen Blumen-Lieferdienst organisiert, ihrer Tochter bei den Hausaufgaben geholfen, Paul gepflegt, sich erfolglos um Notfallhilfe für Selbständige bemüht. Heute ist ihr Blumenladen an zwei Nachmittagen zu. „Mein Mann hat immer Urlaub genommen, damit ich arbeiten gehen kann, das geht ja nicht ewig so“, sagt sie. Wenn die Schulen nach den Ferien nicht wieder komplett öffnen, ihren Blumenladen müsste sie wohl ganz schließen.

150.000 Kinder und Jugendliche bundesweit sind pflegebedürftig – und die Pflege leisten in zwei Dritteln aller Fälle die Mütter. Über 60 Prozent von ihnen sind berufstätig. Fast alle in Teilzeit. Wie viele dieser Mütter werden ihren Beruf aufgeben müssen, wenn die zweite Welle kommt? Auch, weil sie den Arbeitsplatz des Vollverdieners an ihrer Seite nicht gefährden wollen? Klar ist: Die Mütter sind schon jetzt voll aus- und überlastet. Gesprächspartnerinnen für diesen Text finden: schwierig. Die meisten hatten schlicht keine Zeit für ein kurzes Interview. Aussage der Mütter war: „Ich muss auf der Arbeit alles nachschaffen, was liegen geblieben ist, mich um mein Kind kümmern. Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht.“ Logisch, dass diese Mütter keine Lobby haben, politisch selten gehört werden, sie haben schlicht keine Energie, sich zu beschweren. Und Angst vor einer Kündigung, wenn sie reden.

„Ein zweiter Shutdown wäre katastrophal. Die traditionelle Rollenverteilung würde sich in vielen Familien verfestigen, eventuell würden Frauen unter der immensen Belastung ihre Erwerbsarbeit zumindest temporär aufgeben“, sagt auch Saskia Ulmer, zweite Vorsitzende des Landesfrauenrates Baden-Württemberg. Und Kai Pakleppa, Familienexperte der Bundesvereini-gung der Lebenshilfe stimmt zu: „Die Pandemie verschärft die Ungleichheit in der Fürsorgearbeit zu Lasten der Frauen. Für Mütter von Kindern mit Beeinträchtigung gilt – wie immer – sie sind im besonderen Maße betroffen.“ Und zwar deshalb, weil viele Kinder mit Behinderung nicht selbstständig werden, auch mit 12 oder 15 Jahren keine Minute allein sein können. Man nicht mal eben die Nachbarin oder Freundin um Hilfe bitten kann. „Lebenslange Elternschaft“ nennt Bärbel Kehl-Maurer, Vorstandsvorsitzende der Lebenshilfe Kirchheim, die Aufgabe der Frauen. Es würde gesellschaftlich erwartet, dass die Mütter bedingungslos die Betreuung und Pflege ihres Kindes übernehmen – ein Leben lang. „Diese Frauen müssen ständig kämpfen und für ihr Kind werben. Niemand sieht ihre Belastung.“

Tajana Rubcic aus Kirchheim hat ihre komplette Arbeitszeit gleich ganz auf abends verlegt. Ihre jüngere Tochter Sophie ist sieben Jahre alt, hat frühkindlichen Autismus und muss rund um die Uhr betreut werden. Und so arbeitet die Mutter Spätschicht, von halb sechs bis viertel nach zehn abends, fünf Tage die Woche als Verkäuferin in einem Drogeriemarkt. Sie geht zur Arbeit, wenn ihr Mann nachhause kommt. Drei Monate war ihre Tochter während des Lockdowns ganz zuhause. Unterstützung durch die Betreuung in der Schule hatte sie kaum - Schulöffnung nach Pfingsten bedeutete für Sophie: Sechs Stunden Unterricht – in der Woche.

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